“Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.”

[Primo Levi: "Die Untergegangenen und die Geretteten"]

Der Gedankenstein

Entwurf

Wir konnten den Dieburger Bildhauer, Maler und Zeichner Martin Konietschke für diese Idee gewinnen. Ein Entwurf für ein Relief steht bereits auf dem Tisch.

Entwurf des Gedankensteins
Foto: Peter Haust, Dieburg

Der Künstler Martin Konietschke in seinem Zitat zum Relief für den "Gedankenstein":

Das Relief zeigt eine vierköpfige Familie mit Gepäck, eine Straße hinabgehend. Nichts Spektakuläres. Ungewöhnlich ist, dass alle, außer dem Kind auf dem Arm der Mutter, dem Betrachter den Rücken zukehren und spätestens nachdem man bemerkt hat, dass Mutter und Vater eine Armbinde mit dem Davidstern tragen, dürfte klar sein, dass dies kein Sonntagsausflug wird. Alle sind gut gekleidet. Die Mutter trägt hohe Schuhe. Man weiß noch nicht, wohin die Reise geht und möchte einen ordentlichen Eindruck machen. Die Kleidung gibt dezent einen zusätzlichen Hinweis auf die Epoche. Die Szene ist eine alltägliche. Das könnten irgendwelche Leute, auch Nachbarn, Freunde, Bekannte auf dem Weg in ein langes Wochenende sein. Ein Ausflug. Man könnte es aber auch selbst - es könnte die eigene Familie sein.

Damit die Situation - eben durch ihre scheinbare Alltäglichkeit - nicht ins allzu Normale oder gar in die Anonymität - und somit ins Ignorierbare - abgleitet, lasse ich das Kleinkind "Augenkontakt" zum Betrachter halten. Denn: Wer angeschaut wird, schaut auch zurück. Das Relief ist sehr flach modelliert, ohne an plastischer Eindringlichkeit zu verlieren. Zur Reliefmitte hin scheinen sich die Figuren fast aufzulösen. Eine Anmutung dessen, was geschehen wird.

Die Komposition steht im Kontrast zur Unaufgeregtheit der Szene. Ein Gitternetz von Diagonalen lässt das Auge des Betrachters nicht zur Ruhe kommen. Eine stete, unterschwellige Beunruhigung, entsprechend der unausgesetzten Bedrohung, die über den Köpfen der Familie schwebt.

Es ist die mozart'sche Methode: Das Schwere leicht daherkommen lassen, um es annehmbar zu machen. Die Wirkung ist tiefgehender, berührender und anhaltender als jeder Paukenschlag, der eher betäubt als nachzuklingen. Die Rückseite der Relieftafel möchte ich mit zwei zentralen Strophen der "Todesfuge" von Paul Celan typografisch gestalten:

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends wir trinken und trinken ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland Er ruft spielt dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft Dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Vorder- und Rückseite mit eingeschweißten Abstandsblechen bilden einen flachen Kubus, im Format von etwa 140 x 160 x 15 cm. Den länglichen Sockel stelle ich mir etwa kniehoch oder etwas höher vor. In der Draufsicht ist ein umlaufender Fries, bzw. ein Bronzeband mit den Namen, Geburts - und Sterbedaten der deportierten Juden eingelassen. Das Relief steht frei auf mehreren zylindrischen Säulen, in welchen sich Edelstahlanker verbergen. Letztendlich ist das Objekt über mannshoch. Man sollte es nicht suchen müssen. Um dem Betrachter zum Näherkommen und Umschreiten des Denkmals zu ermutigen, schlage ich eine Bodengestaltung mit durchbrochenen "Rasensteinen" vor.

Materialien

Das Relief ein Bronzeguss, die Anker aus Edelstahl in Bronzeröhren verborgen, der Sockel aus rotem einheimischem Sandstein, dem selben, der sich am Gebäude des Fechenbach'schen Schlosses wiederfindet, so dass sich eine optische Korrespondenz ergibt.

Standort

Unser Wunsch ist ein Standort in zentraler Lage von Dieburg - im Park von Schloss Fechenbach, in unmittelbarer Nähe zum schwarzen Gedenkstein, auf dem der Beginn und das Ende der Existenz von der jüdischen Gemeinde in Dieburg zu ersehen ist. Hiermit könnte eine inhaltliche und zudem künstlerische Ergänzung beider "Steine" erreicht werden. Keine Stelle erscheint uns besser geeignet, als die Stadtmitte, in der die jüdischen Mitbewohner ihren Lebensmittelpunkt vor der Vertreibung und Vernichtung in der Hölle der Konzentrationslager hatten.